Freud hat behauptet, dass nur kindliche Frauen mit ihrer Klitoris spielen würden. Eine reife Frau dagegen lerne, ihre erotischen Empfindungen in die Vagina zu verlagern. Bei vielen Frauen hat sich Freud damit sehr unbeliebt gemacht. Bei mir bisher auch. Nachdem ich eine Viertelstunde mit dem neuen Dildo verbracht habe, bin ich dabei, meine Meinung zu ändern. Mein Gott, was habe ich eigentlich all die Jahre im Bett gemacht?

Fairerweise muss man sagen, dass der Dildo an sich kein Zauberwerkzeug ist. Es ist mit ihm nur einfacher, den eigenen G-Punkt zu erreichen, ohne sich den Arm zu verrenken. Meine Finger allein sind nicht lang genug. Dass der G-Punkt ungefähr zwei Fingerglieder tief an der oberen Seite der Vagina liegt, also an ihrer Bauchseite, wusste ich schon. Ich wusste aber nicht, dass er eigentlich kein Punkt ist, sondern eine Fläche, deren Konsistenz sich ähnlich wie die Rillen anfühlt, die man mit der Zunge am Gaumen spüren kann, direkt hinter den Zähnen. Diese Erkenntnis entnehme ich den Büchern „Weibliche Ejakulation und der G-Punkt“ von Deborah Sundahl und „Frauenkörper, neu gesehen“. Die verschiedenen Zeichnungen und Querschnitte von Unterleibern sind zwar nicht gerade sexy, aber äußerst hilfreich. Die wichtigste Erkenntnis ist für mich aber, dass der G-Punkt Druck mag. Nicht die klassische Rein-raus-Bewegung wie beim Sex lässt ihn aufglühen, sondern wenn man mit Fingern oder Dildo im vorderen Bereich der Vagina in Richtung Bauch drückt.

Klingt seltsam, wirkt aber enorm: Der Orgasmus, den ich auf diese Weise kriege, kommt angerollt wie eine langsame Welle, die immer größer wird, bis sie mir über den ganzen Körper schwappt. Zwar kann von Ejakulation keine Rede sein, aber das ist mir, zumindest vorübergehend, äußerst egal.

„Du musst über diesen Punkt hinweg, an dem du das Gefühl hast, dass du pinkeln musst. Du musst einfach loslassen“, sagt mir ein paar Tage später Laura Méritt. Langsam nervt mich der ständige Urinbezug bei diesem Thema. Aber Méritt muss wissen, wovon sie redet. Der Wikipedia-Artikel, den es über sie gibt, bezeichnet sie als eine deutsche Sex-Aufklärerin und feministische Linguistin, und sie hat den Ratgeber „Frauenkörper, neu gesehen“ herausgegeben, der mir beim G-Punkt-Streicheln so geholfen hat. Obendrein betreibt Méritt eine Internetseite, in der es ganz um weibliche Ejakulation geht. Dort bietet sie auch persönliche Beratungen und „praktische Körperübungen“ an.

Auf dem Weg zu Méritts Wohnung in Kreuzberg war ich ziemlich nervös, immerhin habe ich noch nie einen fremden Menschen für eine sexuelle Handlung bezahlt. Aber bei meiner Ankunft drückt Méritt mir eine Tasse Tee in die Hand und führt mich in ihr Wohnzimmer, das weder nach Krankenhaus noch nach Bordell aussieht, sondern wie ein normales Wohnzimmer mit Bücherwänden und Sofa. Nachdem sie eine halbe Stunde lang entspannt und freundlich meine Fragen zum Ejakulieren beantwortet hat, habe ich kaum noch Hemmungen, mich auf ihr Bett zu legen.

Das Material des Lakens unter mir erinnert an eine beschichtete Picknickdecke, was sicher praktisch ist, wenn hier öfters Frauen ejakulieren. Mit Gummihandschuhen und Gleitgel verpasst mir Méritt mir eine Intimmassage. Ich staune über ihre geübten Finger und bin auf einmal total überzeugt davon, dass es Sinn macht, bei Sex-Experten zu lernen.

Wieso kann ich an der Volkshochschule Schreinern und Arabisch belegen, aber keinen Kurs über Prostatamassage? So ganz fallen lassen kann ich mich aber nicht. Immerhin soll ich auf dem Bett einer fremden Frau, die ihre Finger in meiner Vagina spielen lässt, eine Hemmungswelle überwinden, die mir selbst im Bett mit sehr vertrauten Männern Probleme bereiten würde. Einen Orgasmus bekomme ich wohl eher nicht, aber das ist zum Glück nebensächlich. Méritt hat mir erklärt, dass ich auch ohne Höhepunkt ejakulieren kann. „Die G-Fläche ist ein Schwellgewebe, das rund um die Harnröhre liegt, deswegen kriegen viele Frauen dieses Gefühl von Harndrang, wenn man sie dort anfasst“. Erklärt sie mir. „Wenn du erregt bist, füllen sich die Drüsen in dem Schwellgewebe, und du kannst ejakulieren.“

Ich spüre tatsächlich einen gewissen Druck, der immer stärker wird, je länger sie mich massiert. „Mach dir keine Sorgen. Man kann nicht gleichzeitig ejakulieren und pinkeln, das ist bei Frauen und Männern gleich“, sagt Méritt. Sie schafft es tatsächlich, mich mit diesem Satz zu beruhigen – so sehr, dass ich mich einem Moment lang sicher fühle. Und dann passiert es: In meinen Unterschenkeln zieht es, wieder rollt eine hitzige Woge von meinem Unterleib aus durch den ganzen Körper, aber die Welle bricht, bevor sie ihren Höhepunkt erreicht. Ich fühle ein kleines Rinnsal, das meinen Oberschenkel hinunterläuft. „Na also“, sagt Méritt lächelnd und zieht sich die Handschuhe aus.

Ich sehe an mir herunter, bin stolz und ein wenig baff. Das war’s? Wenn ich keine Zeugin hätte, wäre mir das bisschen Extraflüssigkeit nie aufgefallen. Ich kann jetzt allerdings noch besser verstehen, dass viele Frauen beim spritzen denken, sie hätten die Kontrolle über ihre Blase verloren.

Méritt erklärt mir dann noch, dass man nach jeder Ejakulation einfach weitermachen kann mit der G-Punkt-Stimulation. „Die erste Ejakulation kann ganz unterschiedlich ausfallen. Manche tropfen, andere werden ganz schön nass oder spritzen in hohem Bogen, das kann sich immer wieder verändern. Wenn du es aber mal raushast, dann kannst du ganze Schalen voll Saft Füllen.“ Du lieber Himmel.

Selbstverständlich wiederhole ich das Experiment ein paar Tage später bei mir zu Hause. Diesmal ist Tom der Masseur und stellt sich auch wirklich sehr geschickt an. Wieder ejakuliere ich, fühle dadurch aber weder Rausch noch Erlösung. Ich will ja nicht kleinlich sein, aber irgendwie steht der Aufwand – mindestens eine halbe Stunde G-Punkt-Massage, und zwar ohne Orgasmus – noch in keinem Verhältnis zum Ergebnis.

Ich glaube, es ist so: Der Internet- und Pornohype um Squirting verfehlt den eigentlich interessanten Punkt völlig. Wenn eine Frau beim Sex oder Fingern kleine Springbrunnen produziert, ist das weder ein Kunststück noch eine sexuelle Kür, sondern eine natürliche Reaktion. Das kann einen begeistern, weil die Lust sich vielleicht noch enthemmter anfühlt (und weil es auch mal nett ist, wenn nicht immer nur Männer über Frauen spritzen). Aber der Hauptgewinn meines Experiments besteht für mich darin, dass Sex für mich eine neue Ebene bekommen hat.

Bisher war meine Lust für mich untrennbar mit der Klitoris verbunden, weswegen mir relativ egal war, welche Position ich beim Sex einnahm, Hauptsache, einer von uns kam mit der Hand gut dran. Jetzt weiß ich, dass auch der G-Punkt sich begeistert meldet, wenn Penis, Dildo oder Finger im richtigen Winkel gegen ihn drücken. Kann sein, dass das mit der Zeit noch besser wird – angeblich wird der G-Punkt bei vielen Frauen erst mit der Zeit wirklich empfindsam, manche von ihnen finden die Berührung anfangs sogar unangenehm. Wer weiß, wenn ich sehr nett zu meinem bin, klappt es ja vielleicht irgendwann noch mit dem Fünfzehn-Minuten-Ganzkörperorgasmus. Ob mit oder ohne Spritzen, ist mir dabei ziemlich egal.

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